20 und mehr Jahre sind’s her. Mandrin kam regelmässig in meine Luzerner Bude, in der Hoffnung, um ein paar Saitentricks reicher zu werden. Reicher wurden wir beide am Küchentisch, durchs Diskutieren. Seine Erscheinung kam mir imposant vor, und so gar nicht widersprüchlich: Grosser Mann hat tatsächlich auch grosses Herz. Und grossen Eigenwillen. Hallo! Der kauft dir keine billigen Tricks ab; bei Mandrin kommen ungeprüfte Argumente nicht durch. Unsere letzte Begegnung ist 17-jährig; wir machten gemeinsam Musik zum Abschied seiner lieben Freundin Clivia. «Tears in Heaven»; ich hab den Song seither nie wieder gesungen, also war er für Clivia. Danach trennten sich unsere Wege. Aus der Distanz hörte ich von Mandrins Projekten. Die Texas-Tour. Der Shitkicker Music Club; allein der Name mehr als sympathisch – das Konzept erst recht. Unsympathisch, dass ich’s noch nie geschafft habe, diesen inspirierenden Ort zu besuchen; werden wir ändern, müssen wir ändern. Dann Mandrins Musik mit The Real Texas Shitkicker All Stars, die mir hin und wieder mit einem distanzfressenden digitalen Bonbon in Erinnerung rief, wie leidenschaftlich dieser Mann ist.
Und jetzt dieses Album! Mandrin als «Geschichtensänger». Kein Sportsänger also; genau, was mich beeindruckt. Ein Barde mit tiefer, berührend schmutziger Stimme. Der Spiegel seines Wesens – sie nennen es ‚Authentizität‘. Grosse Lieder über kleine Leute. Über die Lebenskunst der Verlierer, über widerborstiges Betreten eigener Pfade, über das Festhalten an der Würde auch im Augenblick der Machtlosigkeit. Kleine Geschichten mit grossem Stolz. In Schweizer Mundart – einer Sprache, die schnell peinlich berühren kann, wenn sie einem zu nahe kommt. Mandrin umschifft diese Gefahr, weiss Gott wie. Denn ganz ohne Fingerzeig und Weisenrat kommen seine Lieder nicht aus. Warum auch? Der Stolz, von Alten nichts lernen zu wollen, der ist kaum älter als 50 Jahre. Höchste Zeit, den Kurs zu ändern. Wenn Mandrin aus seinem Leben oder über seine Beobachtungen erzählt, ist taub, wer nicht hinhört. Die Musik lädt sowieso dazu ein – und wie! Kein Ton zu viel, kein Gefühl zu wenig. Hank Williams hätte seine Freude an dieser Band; oder Tom Waits, oder Dylan, oder wie sie alle heissen. Man ist nur noch beschränkt aufnahmefähig heutzutage, bei diesem weltweiten Output. Meine Taktik deshalb stets: Gibt’s im Song einen Ton, der’s ins Langzeitgedächtnis schafft? Bei Mandrins Platte sind es mehr Töne als Songs! Dieselbe Frage bei den Worten. Mein Gott, da sind für mich mehr Perlen drin als bei manch hochdotiertem Poeten. Beispiele? «Weiss ned wo i wott si – be nömme det wo ni be gsi». «Nor Donkelheit esch ächt – Liecht schint nor». «Wär rechtig lügt mues vorhär d’Woret verstoh». Das ist die Kunst, mit einem Satz ein Buch zu schreiben, oder eben einen Song. Chapeau! Und viel Erfolg mit diesem feinen Werk.
Richard Koechli